Warum funktioniert der Slingshot (und der Abfallimpuls beim Angleiten) physikalisch?

  • Wertes Forum,

    ich möchte hier einen Thread starten um miteinander zu diskutieren, warum der Slingshot im Zuge einer Böe oder auch der Abfallimpuls beim Angleiten physikalisch so wirkungsvoll ist. Es geht also um theoretische und praktisch erlebte Physik. Ich fang gleich mal mit ein paar Gedanken an:

    Es ist zweifellos ein hochdynamischer Abfall-Prozess, bei dem die Zunahme des wahren Windes und dann gering verzögert des Fahrtwindes und damit des Kraftvektors des scheinbaren Windes eine Rolle spielt. Der Kraftvektor wird nicht nur größer, sondern ändert dabei auch mehrfach seine Richtung (in Bezug auf a) Rigg und b) die Boardlängsachse). Der Windsurfer setzt auf tieferen Kursen sein Gewicht speedoptimaler ein (und kann ein größeres/auftriebsstärkeres Segel dichthalten). Der Windsurfer nutzt seinen Spielraum, den er bei der brauchbaren Vielfalt der Anstellwinkel hat (von nahezu im vorderen Bereich killend bis knapp vor dem oversheeting).


    In einem anderen Thread: "Gleiten: Dichtholen, Schlaufen ...", den ich nicht kapern will, schrieb ich dazu:


    Den potentiell größten Segeldruck und Speed hast Du beim schwungvollen Abfallen a la Slingshot mit bereits hohem Ausgangsspeed - ebenso bear away through the zone of death (bei schnell gleitenden Segelbooten oder -foilern, 49er, Americas Cup) - warum das genau physikalisch ist, würde mich interessieren (eher zu volle Anströmung, Zentrifugalkraft verringert Krängungsmoment, + ? + ?, auf alle Fälle eine hochdynamischer Prozess).

    [Um im Gleiten zu bleiben luvt man nur an, wenn man schon (zu) tief war und der Wind den tiefen Kurs nicht mehr ohne Geschwindigkeitsabnahme zulässt.] Ansonsten fördert abfallen den Speed und das Gleiten.

    Abfallen verringert den Segeldruck dann, wenn Du eh schon sehr schnell gleitend relativ tief raumschots fährst und Material, Trimm, Können und Mut eine weitere Beschleunigung und/oder tiefere Kurse zulässt.


    Mein Zugang ist, dass wer die Physik versteht, besser surfen wird. Und interessant ist es auch.

  • Die Physik des Windsurfens find ich auch echt spannend (und leider auch ziemlich komplex :D)


    Nils Bach hat ein Video zum Slingshot gemacht, das find ich echt ganz gut.

    https://www.youtube.com/watch?v=sPPZlg1pgvc


    Den potentiell größten Segeldruck und Speed hast Du beim schwungvollen Abfallen a la Slingshot mit bereits hohem Ausgangsspeed

    Den potenziell größten Speed? Gibts da konkrete Messungen oder Beispiele zu?


    So wie ich die Erklärung von Nils verstanden habe und ich das physikalisch verstehe, ist der maximale Topspeed prinzipiell nicht unbedingt beim Slingshot. Die maximale Geschwindigkeit kann prinzipiell beim tiefen Downwind erreicht werden. Wenn ich also aus einem weniger tiefen Downwind- oder gar Halbwindkurs auf den idealen Downwindkurs wechsle, werde ich beschleunigen. Das was man vor allem spürt, ist die starke Beschleunigung in dem Manöver. Habe ich den idealen Kurs erreicht, sollte man so lange weiter beschleunigen, bis der maximale Speed erreicht ist.

    Nils spricht allerdings an, dass in der Praxis der Chop die Geschwindigkeit auf tiefen Raumwindkursen oft sehr reduziert, da man zu stark von hinten auf den Chop stößt. Dadurch kann nur eine kurze Zeit der tiefe Raumwindkurs effektiv gefahren werden, was das Slingshotmanöver dann effektiv werden lässt. Das ist auch gut in 2:04 im Video beobachtbar. Ich denke, dass er einen noch höheren Topspeed fahren könnte, als die 85 km/h im Video, wenn das Wasser entsprechend flach wäre.

    Eine zusätzliche Kraft, die beim Slingshot wirkt, die zu einer höheren Geschwindigkeit als beim (idealen) tiefen Raumwind beiträgt, sehe ich jetzt nicht. Die "Zentrifugalkraft" kann es auf jeden Fall nicht sein, die ist ja garkein echte Kraft :D.


    "Ansonsten fördert abfallen den Speed und das Gleiten." Ich würde daher sagen, dass es präziser wäre zu schreiben: Ein tiefer Raumwindkurs fördert den Speed (und das gleiten). Aber nicht das abfallen an sich.


    Das sind jetzt meine Gedanken dazu. Es kann auch gut sein, dass ich etwas übersehen habe, ich bin auch kein Experte in der Physik des Segeln/Surfens. ^^


    Wie sieht das denn beim Foilen aus? Da spielt die Wasseroberfläche ja eine untergeordnetere Rolle. Wo erreicht ihr da euren Topspeed? Während des Slingshots oder irgendwann danach auf einem geradlinigen tiefen Raumwindkurs?

  • slingshot?

    kann jemand einem oldscoolsurfer erklären/verlinken, um was es da geht?


    muss ja was ganz spezielles sein, wenn schwungvolles abfallen wie slingshot ist


    ahh, während ich tippte, wurde ein slingshotvideo verlinkt

    jetzt muss ich also nicht dumm sterben surfen

  • Der schnellste Kurs ist Downwindkurs. Bein unveränderter Segelgrösse je stärker der Wind desto mehr downwind. Bei gleichem Wind je kleiner das Segel je weniger downwind. Theoretisch bei glatter Wasseroberfläche. Das bewegtes Wasser stark bremsen wirkt, ist ja wohl jedem aufgefallen. Daher können in der Praxis sich davon Abweichungen ergeben. Geschwindigkeit fühlt man ja kaum, Beschleunigungen hingegen schon recht deutlich. Daher kommt vermutlich auch manchmal, gerade bei kabbeligen Bedingungen, das man meint sehr schnell unterwegs gewesen zu sein, es aber gar nicht war.

  • Teichi: Beispiele für höchsten Speed genau und exklusiv im Bereich des slingshotähnlichen Abfallens finden sich im SailGP (https://www.youtube.com/c/SailGP/featured) an der ersten Bahnmarek und beim America's Cup an der Luvtonne. Die sind medientauglich und haben dauernd Instrumente laufen.


    Eigene Nachweise und die von sooo vielen per GPS-Uhr.


    Alle Speedsurfer fahren slingshots und ist der auch elementarer Bestandteil von Lüderitz.

    Downwind ist eine sehr grobe Angabe für alles zwischen Halbwind und Vorwind. Dass die subjektiv wahrgenommene Geschwindigkeit gerade im Chop trügerisch sein kann, stimmt. Die GPS-Uhr ist unbestechlich.


    Siehe auch den Beitrag von Andy Laufer in der SURF (und nun dort auch online: https://www.surf-magazin.de/fa…interview-mit-andy-laufer)


    Ich denke bei Beschleunigungspotential und vorher schon hohem Speed, wirkt gerade das Abfallen an sich. Natürlich kann einen auch die perfekte Böe auf eine Downwindkurs erwischen, aber auch da führt ein - weiterer - Slingshot zu einem noch höheren Topspeed. Stets natürlich nur bei vergleichbarer oder nicht deutlich rauerer/choppiger Wasseroberfläche.

  • In Lüderitz musst du über 500m den Topspeed halten. Da Spielt vor allem der richtige Kurs eine wichtige Rolle. Also in dem Fall in welchem Winkel der Wind zum Kanal steht. Und natürlich die Stärke des Windes. Irgendwelche Manöver bremsen da nur. Ubd natürlich ob du eine Change hast irgendwelche Rekorde zu fahren, muss auch die Wasseroberfläche im Kanal mitspielen.

  • SailGP/America'c Cup ist hier ein schlechtes Beispiel. Die Fahren ja nicht auf maximale Bootsgeschwindigkeit sondern auf maximales VMG (velocity made good), also den Kurs, der sie am schnellsten nach Luv oder Lee bringt. Für maximalen Spped müssten die deutlich höher fahren als sie es auf der Vorwindkreuz tun, desswegen der höchste Speed beim Abfallen, da sie da kurz diesen optimalen Winkel haben.


    Grundsätzlich: Je schneller man relativ zum Wind ist, desto höher ist der Kurs der höchsten Geschwindigkeit. Also muss jemand der doppelte Windgeschwindigkeit fahren kann weniger tiefen Raumkurs für optimalen Speed fahren als jemand der nur einfache Windgeschwindigkeit schafft. Bei Windsurfern ist dieses Verhältnis dann natürlich auch noch Windstärkenabhängig, je mehr Wind ist desto langsamer relativ zum Wind wird man (ich aufm Formula: 12 kn Wind, 24 kn vmax, Winkel ca 110°, Lüderitz: 50 kn Wind, 50 kn Speed, Winkel ca 135°).


    Gruß, Onno

    wissen ist macht. nicht wissen macht auch nichts.

  • Ja, auf fixe 500 m wird die Zeit gemessen und daraus der offizielle Speed errechnet. Der Winkel der Hauptgeraden zum wahren Wind ist auch sehr wichtig, die Wasseroberfläche auch, das Material auch, Erfahrung und Trainingszustand auch, Blei auch etc etc - hier soll es aber um die Physik des Slingshots gehen.

    Schau Dir also bitte mal die Kurve im Kanal an und hör all die Teilnehmerberichte von Lüderitz wie entscheidend der Slingshot bei dieser Kurve für die weitere Beschleunigung und das Gesamtergebnis ist.

  • Für America'S Cup hast Du mit dem Up-/Downwindargument recht.

    Bei SailGP wird auf Halbwind gestartet und ist der erste Kurs ein Halbwind, der dann in einen frei wählbaren Downwind übergeht, bis zu Halse. Aus Vermarktungsgründe ist den SailGP-Organisatoren der erreichbare Topspeed sehr, sehr wichtig.

  • Hast du vielleicht eine Stelle in einem Video, wo man das gut beobachten kann? (ich hab grad keine Zeit mir das selbst rauszusuchen, die Videos von dem SeilGP-Youtubechannel sind ja über eine Stunde lang 8|


    Zur Fliehkraft aka Zentrifugalkraft aka Trägheitswiderstand: https://de.wikipedia.org/wiki/Zentrifugalkraft

    Und was soll mir der Artikel jetzt sagen? :/

    Die Zentrifugalkraft ist keine "echte" Kraft. Wenn du den Windsurfer aus dem Inertialsystem eines außenstehenden ruhenden Beobachter betrachtest, gibt es keine nach außen wirkende Kraft. Man kann natürlich das System auch aus dem Bezugspunkt des beschleunigten Surfers betrachten, dass macht die Betrachtung meistens aber nur unnötig komplex.

    Wenn wir die Abfallbewegung als Kreisbahn modellieren würden, dann hätten wir allerdings eine ins Kurveninnere gerichtete Zentripetalkraft. Aber die kann die Geschwindigkeit betragsmäßig nicht verändern, da sie per Definition senkrecht auf der Bewegungsrichtung steht. Sie verändert also nur die Richtung des Geschwindigkeitsvektors.

    Der Grund für den Slingshoteffekt müsste meiner Meinung also ein anderer sein, die Zentripetalkraft hat wohl eher nichts direkt damit zu tun.


    Was Andy Laufer in deinem verlinkten Artikel sagt, spricht aber dafür, dass der Slingshot nochmal etwas Geschwindigkeit bringen würde.

    "[Ich gehe danach auf] Speed-Max- Jagd – zirka fünf bis zehn Sekunden Vollgas mit kleinen Slingshots am Ende."

    https://www.surf-magazin.de/fa…interview-mit-andy-laufer


    Ich bin aber noch nicht überzeugt, dass dieser Effekt überhaupt auftritt oder halt nicht doch mit der weniger idealen Wasseroberfläche zu tun hat, die bei den tieferen Downwindkursen auftreten. Mir fehlt halt noch die Erklärung:/

  • Ich glaub es geht um den beschleunigten Surfer und sein Rigg in einer schnellen Kurve. Die Trägheit und Fliehkraft des Rigg und der Person ermöglichen es dynamisch und kurzfristig eine höhere vom Rigg produzierte seitliche Kraft zu ertragen und es praktisch eventuell wenige Grad dichter zu halten (oder ohne fieren eine stärkere Böe vertragen), als es sonst noch möglich wäre.


    Oder gibt es da eine Exponentialfunktion mit der der Lift des Riggs mit dem aufgrund des Fahrtwinds weiterzunehmenden scheinbaren Wind zunimmt?


    Oder ist es das kurzfristige, noch nicht zum großen Stromungsabriß führende Überziehen des Segels (das zudem mehr Lift generiert und gehalten werden muss)?

    Das sind bislang meine ersten Versuche einer Erklärung (unter den Prämissen in Beitrag #1).

    ein zwei Minuten nach jedem SailGP-Wettfahrtstart würde ich schauen

    Warum soll eine Speedzunahme mit einer weniger idealen Wasseroberfläche zu tun haben? Zudem ist sie in Lüderitz ideal.


  • Schau Dir also bitte mal die Kurve im Kanal an und hör all die Teilnehmerberichte von Lüderitz wie entscheidend der Slingshot bei dieser Kurve für die weitere Beschleunigung und das Gesamtergebnis ist.

    Lüderitz ist schon speziell, da muss der Start sitzen und möglichst schnell beschleunigt werden, da der Kanal nicht so lang ist. Daher ist der Anfang schon wichtig. Die Beschleunigung ist bei weniger downwind auch größer, nur du kannst mit zunehmender Geschwindigkeit nicht mehr das Segel halten. Es hat dann vielleicht den Anschein das der slingshot den speed bringt. Ist aber nicht so, ist ja auch nur ein kurzer Impuls.