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Warum soll ich mich impfen lassen?
Eine Kolumne von Sascha Lobo
Sie sind weder Querdenker noch Impfgegner – aber trotzdem unsicher, ob und warum Sie sich impfen lassen sollen? Dann ist dieser Text für Sie.
Vielleicht haben Sie diesen Text gerade von jemandem zugeschickt bekommen, der Sie gern mag und der sich um Sie sorgt. Denn dieser Text ist für die Leute, die bisher nicht gegen das Coronavirus geimpft sind – aber nicht für harte Impfgegner, Verschwörungstheoretiker und Querdenker, die viel kaputt gemacht haben, auf die man mit Recht wütend sein darf (war ich zum Beispiel in der letzten Woche). Dieser Text ist für ganz normale Leute, die vielleicht noch unsicher sind, ob und warum sie sich impfen lassen sollen. Vielleicht gehören Sie dazu?
Unsicherheit ist okay, die Welt ist kompliziert und groß. Die meisten Leute sind irgendwo unsicher. Aber es herrscht eine Pandemie, die inzwischen für sehr viele Menschen tödlich endet, und deshalb muss man irgendwann etwas gegen seine Unsicherheit tun. Dabei möchte ich Ihnen helfen, weil ich der absoluten Mehrheit der seriösen Fachleute folge: Der Impfstoff ist für uns alle der Weg aus der nervigen Pandemie, wenn sich in Deutschland so viele Leute impfen lassen wie in Spanien oder Portugal.
Deshalb schreibe ich hier über die wichtigsten Gründe, warum sich manchmal auch ganz normale, überhaupt nicht radikale Leute bisher nicht impfen lassen. Die sind gut erforscht, und vielleicht sind ja auch Ihre persönlichen Gründe dabei, weshalb Sie bisher zögern. Die Quellen für die meisten wichtigen Aussagen in diesem Text habe ich übrigens verlinkt, damit Sie alles selbst nachvollziehen können. Am Ende erkläre ich, warum so viele Menschen Lügen über die Impfung verbreiten. Es gibt nämlich eine gute Chance, dass Ihre Zweifel durch verwirrende und bedrohliche Gerüchte in sozialen Medien größer geworden sind.
Für die Glaubwürdigkeit so eines Textes ist wichtig zu klären, wer ihn schreibt: Mein Name ist Sascha Lobo, ich bin kein Virologe oder Arzt, sondern Diplom-Kommunikationswirt und habe zusätzlich drei Jahre Biotechnologie studiert. Mein Job ist, komplizierte Informationen zu recherchieren, richtig einzusortieren und so zu erklären, dass man sie leichter versteht. Ich arbeite unter anderem als Kolumnist für den SPIEGEL, aber den größten Teil meines Geldes verdiene ich mit Vorträgen über Digitalisierung. Manchmal tue ich das zwar auch für Pharmaunternehmen, aber ich verdiene nichts an den Impfungen.
Das Einfachste am Anfang: Warum sollten Sie sich gegen Corona impfen lassen?
Vier Gründe, die alle wissenschaftlich bewiesen wurden:
Inzwischen werden Krebsoperationen verschoben, weil so viele Coronapatienten im Krankenhaus sind. Es sterben Menschen, weil sie nicht operiert werden. Genau jetzt. Den Vorteil der Impfung können Sie an den Inzidenzen erkennen, also der Zahl, wie viele Leute pro 100.000 Einwohner sich in den letzten sieben Tagen angesteckt haben. Zum Beispiel in Sachsen am 16. November 2021.
Die Inzidenz lag da bei Geimpften bei 64.
Bei Ungeimpften lag sie bei 1823. Das ist fast 30-mal mehr.
Diesen Herbst wurden bei einer Umfrage über 3000 Leute in Deutschland gefragt, warum sie bisher nicht geimpft sind. Unter den häufigsten Antworten sind vielleicht auch Ihre persönlichen Gründe.
Auf Platz eins:
Der Impfstoff ist nicht ausreichend erprobt.
Auf Platz zwei:
Die Angst vor Nebenwirkungen.
Und auch ziemlich weit vorn:
Die Angst vor Langzeitfolgen.
Schauen wir uns das einmal näher an.
- Zum Ersten: Ist der Impfstoff nicht ausreichend erprobt?
Inzwischen sind weltweit 3,2 Milliarden Leute vollständig geimpft. Es gibt eigentlich keinen Impfstoff, der schneller und intensiver bei mehr Menschen geimpft und damit ja auch ständig erprobt wird.
Es stimmt, das ist alles erst ein paar Monate her – aber viele glauben, dass die sogenannten mRNA-Impfstoffe (dazu gehören Biontech und Moderna) völlig neu sind. Das stimmt so nicht. mRNA-Impfstoffe werden seit 1993 erforscht, also seit 28 Jahren. Seit Mitte der Neunzigerjahre werden sie Tieren gespritzt. Seit 2002, seit fast 20 Jahren, werden mRNA-Impfstoffe an Menschen getestet. mRNA ist also nicht neu.
Und es heißt zwar »mRNA«, und diese Abkürzung hat mit dem Erbgut zu tun – aber die Impfung verändert nicht das Erbgut. Die Behauptung, dass die Impfung ein »Gen-Experiment« ist, die ist einfach falsch. Sie fragen sich, warum der Impfstoff gegen Corona so verdächtig schnell da war? Es gab 2012 schon mal einen nahen Verwandten des heutigen Coronavirus namens »MERS« – seitdem wird an Impfstoffen geforscht. Deshalb konnte die Wissenschaft jetzt so schnell reagieren. Und auch weil völlig neue, digitale Instrumente in der Forschung angewendet wurden. Die Digitalisierung macht fast alles schneller.